Körper und Mutterschaft: Über den Körper zur Psyche
Rhona Kaplan
Neuere psychoanalytische Theorieforschungen untersuchen die mit Mutterschaft einhergehenden unbewussten Ambivalenzkonflikte, die die Realisierung eines Kinderwunsches hinauszögern oder verhindern.
Die zeitgenössische psychoanalytische Theorieforschung richtet ihr Hauptaugenmerk auf die mit ‘Mutterschaft’ einhergehenden Gefühlsambivalenzen und die ihnen zugrundeliegenden unbewussten psychischen Konflikte, welche die Realisierung eines mehr oder weniger uneingestandenen Kinderwunsches hinauszögern und dadurch letztlich häufig verhindern. Nancy Chodorow zufolge ist dieser Konflikt in erster Linie in einer ‘Konstellation von Fantasien und Abwehrmechanismen’ ausfindig zu machen. Was sich dabei ihrer Auffassung nach ganz besonders ‘destabilisierend und beeinträchtigend auf die Fertilität’ auswirkt, sind ‘die unbewussten Fantasien der Mutter in Bezug auf die Mutter-Tochter/Geschwister Beziehung, die in dem Umstand einer gegen das eigene Selbst sowie Objekt gerichteten unterdrückten und uneingestandenen Aggression begründet liegen’ (Chodorow, 2003, p. 1181). Davon ausgehend möchte ich die Behauptung aufstellen, dass der Zugang zu diesen unbewussten Fantasien und Konflikten über die eigene körperliche Erfahrung von Fertilität möglich wird, (wobei ich fortschrittliche Spezialbehandlungen zur Steigerung von Fertilität, Fehlgeburten sowie Schwangerschaften mit einbeziehe).
Das Aufdecken psychischer Konflikte, welche in direkter Verbindung mit Schwangerschaft und Kinderkriegen stehen, ist somit durchaus als ein anzustrebender und nutzbringender Behandlungserfolg zu bewerten. Chodorow schildert, wie anspruchsvoll und schwierig sich die therapeutische Arbeit mit Patienten bisweilen gestaltet, bei denen es zum Schwangerwerden und Kinderbekommen ‘zu spät’ ist, weil sie sich dadurch mit etwas konfrontiert sehen, das sie als ‘endgültig und ‘absolut’ erleben. Allerdings ist die Gefühlsambivalenz der Patienten nicht immer ausschließlich auf innere psychische Konflikte zurückzuführen, sondern manchmal auch auf die den äußeren Lebensumständen geschuldeten einschränkenden Bedingungen, Kinder zu bekommen oder schwanger zu werden. Quälende Gefühle von Bedauern, Reue und Scham können einem ansonsten möglichen Zugang zu einem tieferen Verständnis entgegenwirken und sogar dauerhaft im Wege stehen. Ich bin der Ansicht, dass von demjenigen Zeitpunkt an, wo eine Entscheidung für eine Schwangerschaft gefallen ist, bestimmte, bisher unbewusst gebliebene Konflikte in Erscheinung treten und an die Oberfläche drängen, und zwar in Form von im und über den Körper gemachten individuellen Erfahrungen. Um zu einem besseren Verständnis dieser konflikthaften Erfahrungen zu gelangen, möchte ich sie im Folgenden unter dem Blickwinkel der Abspaltung bzw. Dissoziierung genauer beleuchten (Bromberg, 1998). Es kommt gar nicht so selten vor, dass Patienten unwissentlich ihrem eigenen uneingestandenen Kinderwunsch (oder auch dessen Abwesenheit) über einen langen Zeitraum hinweg mehr oder weniger konsequent ausweichen. Doch sobald sie diesen Wunsch erst einmal in und über ihre eigene Körperlichkeit sinnlich erlebt und gespürt haben, treten in vielen Fällen die damit in Verbindung stehenden dissoziierten individuellen Erfahrungssaspekte mit einmal in den Mittelpunkt ihrer Aufmerksamkeit. Mit Schwanger- sowie Elternschaft in Verbindung stehende Bedeutung ist zutiefst in der eigenen Körperlichkeit verankert und dort eingeschrieben und konnotiert. Ich werde meine Hypothese im Folgenden anhand von drei kurzen Fallvignetten zu verdeutlichen versuchen: Rori, Sam und Cora. In allen drei Fällen war es die viszerale, zutiefst leiblich-sinnliche Erfahrung von entweder Schwangerschaft, von die Fertilität steigernden Behandlungsmaßnahmen, oder von erlittenen Fehlgeburten, wodurch sich schließlich ein bewussterer Zugang zu bislang dissoziierten konflikthaften Erlebnisanteilen der Persönlichkeit eröffnete und allmählich herauskristallisierte. Wie sich gezeigt hat, gelang es uns im Laufe des analytischen Behandlungsprozesses zu unbewussten und dissoziierten Narrativen, elterlichen Identifikationen und verinnerlichten genderspezifischen Erwartungen vorzudringen und eine Verbindung dazu herzustellen. Obschon sämtliche hier angesprochenen Themen eine mehr oder weniger bedeutsame Rolle in der Behandlung eines jeden der drei genannten Patienten gespielt haben, werde ich sie der Deutlichkeit halber in den nachfolgenden Präsentationen voneinander gesondert beschreiben.
Rori
Im Fall von Rori handelt es sich um eine 40 Jahre alte Cis-Gender Frau, mit der ich nunmehr über vier Jahre hinweg therapeutisch gearbeitet habe. Als sie zu mir in Behandlung kam, war sie bereits Mutter eines zweijährigen Kindes, mit dem sie, wie sie mir erzählte, immer wieder Augenblicke tiefen Glücks und tiefer Freude erlebt hatte, bis sie dann vor kurzem plötzlich von intensiven Selbstzweifeln und Ängsten heimgesucht wurde, was ihre elterlichen Fähigkeiten und Kompetenzen betrifft. Sie selbst brachte diese Ängste in eine ursächliche Verbindung mit ihren widerstreitenden und ambivalenten Gefühlen angesichts des Umstands, nun noch ein zweites Kind zu erwarten. Während des ersten Trimesters ihrer Schwangerschaft litt sie unter starken Erschöpfungszuständen sowie Übelkeit und Erbrechen. Das mit der Schwangerschaft einhergehende intensive Unwohlsein erzeugte in ihr nicht nur ein Gefühl von Verzweiflung sondern auch Gefühle von tiefem Bedauern und Reue. Sie fürchtete, eine unwiderrufliche und endgültige Entscheidung getroffen zu haben, infolge derer sie nun in einen lebenslangen Kreislauf von Hilflosigkeit und Panik hineingeraten würde. In den Anfangsphasen ihrer Schwangerschaft waren Roris Aufmerksamkeit und ihre Wahrnehmung noch ganz direkt und konkret auf ihren Körper ausgerichtet. Doch als dann in den späteren Phasen der Schwangerschaft die Erschöpfungszustände und die Übelkeit nachließen und allmählich ganz verschwanden, wurde sie zusehends von quälenden Schuldgefühlen eingeholt. Sie war zutiefst darüber betrübt und schämte sich auch, dass sie offensichtlich unfähig war, sich wirklich über ihre Schwangerschaft zu ‘freuen’, sondern sich im Gegenteil wünschte, nicht schwanger geworden zu sein. Ich bemühte mich, Rori darin zu unterstützen, mögliche unbewusste Ursachen für ihre Zweifel und Schuldgefühle in sich ausfindig zu machen. Zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Analyse fühlte ich mich dann allerdings sogar dazu veranlasst, meine analytische Haltung vorübergehend zu suspendieren und der Patientin eher beratend und ermutigend beiseite zu stehen. Doch wie sich herausstellte, änderte das nichts an Roris Verzweiflung und quälender Not. Ich machte dann während der nächsten Sitzungen die Wahrnehmung, dass sich in meinem eigenen Körper zunehmend eine Empfindung von Leere ausbreitete und auch Gefühle von Unzulänglichkeit einstellten. Außerdem empfand ich ein untergründiges Schuld- und Schamgefühl in mir aufsteigen wegen meiner offensichtlich vergeblichen Bemühungen, der Patientin mit meinen Interventionen in irgendeiner Weise helfen oder zumindest Erleichterung verschaffen zu können. Als die Patientin sich dann nach meinen persönlichen Erfahrungen mit Schwangerschaft erkundigte, verstärkte dies meine ohnehin schon vorhandenen Gefühle der Unzulänglichkeit, Inkompetenz und Scham nur umso mehr, sodass ich mich irgendwann schließlich in einem genauso kläglichen Zustand wiederfand wie Rori. Ich selbst hatte nie leibliche Kinder gehabt und folglich kam Rori zu der Überzeugung, ich könnte doch unmöglich in der Lage sein, mich in ihren gegenwärtigen emotionalen Zustand gefühlsmäßig hineinzuversetzen. Ganz ähnlich wie ich selbst so hatte sich auch Rori die von außen an sie herangetragenen gesellschaftlichen Erwartungen an eine werdende Mutter zu eigen gemacht und verinnertlicht, weswegen sie nun wie selbstverständlich und unhinterfragt davon auszugehen schien, persönlich zu versagen in der ihr von der Gesellschaft zugedachten Rolle als Cis-Frau, etwas, das ich selbst bislang aus meiner bewussten Wahrnehmung verbannt hatte. Erst jetzt gelang es uns in der gemeinsamen Arbeit, Roris bislang un-formuliertes Narrativ zur Sprache zu bringen. Dazu gehörten auch internalisierte genderspezifische Erwartungen in Bezug auf Mutterschaft. Schrittweise gelang es ihr, geeignete Worte zu finden für die ihr von der Gesellschaft übermittelten genderspezifischen Botschaften, die sie in sich aufgenommen hatte und die dann auch ihre persönliche Entwicklung als ‘Frau’ maßgeblich mitgeprägt hatten. Und infolgedessen empfand sich Rori in ihrer gegenwärtigen Lage als vollkommen ungenügend und ungeeignet in ihrer Rolle als Mutter, weil sie sich nicht sonderlich über ihre Schwangerschaft freuen konnte. Ihre persönlichen Gefühle standen im Widerspruch zu den ihr von der Gesellschaft vermittelten Botschaften, wonach sich der Wert einer Frau nicht nur gemäß ihrer Fähigkeit bemisst, Kinder zu bekommen, sondern darüber hinaus auch noch, wie sehr sie sich Kinder wünscht. Und dieser Kinderwunsch hätte nach Roris vorgeprägter Vorstellung so absolut und uneingeschränkt sein sollen, dass in ihrem Empfinden darüber hinaus keinerlei Platz mehr übrig zu sein schien für irgendwelche weniger erfreulichen Gefühle oder negativen Reaktionen auf ihren eigenen schwangeren Körper.
Dadurch, dass mir schließlich der Zugang zu meinen eigenen Verlustgefühlen möglich geworden war, gelang es uns dann im gegenseitigen analytischen Austausch herauszufinden und herauszuarbeiten, dass es in der Geschichte von Roris Mutter eine Reihe von Fehlgeburten gegeben hatte. Rori wusste wohl mehr oder weniger vage, dass ihre Eltern vor ihrer Geburt viel Mühe gehabt hatten, überhaupt ein Kind zu bekommen. Sie hatte es in der Anfangszeit ihrer Therapie auch schon einmal eher wie nebenbei mir gegenüber erwähnt, und zwar als sie mir erzählte, dass sie als Einzelkind aufgewachsen sei. Damals hatte sie allerdings keine weiteren Details dazu geliefert, sodass diesbezüglich eine Lücke in ihrer Familiengeschichte offen geblieben war. Rori war sich also nicht wirklich im Klaren darüber gewesen, dass ihre Mutter bei ihrer Geburt bereits eine lange und leidvolle Geschichte von Fehlgeburten hinter sich gehabt hatte, etwas, das sich erst ganz allmählich herauszukristallisieren begann, nachdem es uns gelungen war, gemeinsam über Roris eigene Schwierigkeiten nachzudenken. Und irgendwann gelang es ihr dann, ihren eigenen Konflikt, ein zweites Kind zu bekommen, sowie die damit einhergehenden Gefühle von Schuld und Verzweiflung, in einen ursächlichen Zusammenhang zu bringen mit der Lebensgeschichte ihrer Mutter. Von diesem Zeitpunkt an erlebte sie auch die Interaktionen mit ihrer Mutter auf eine viel bewusstere Art und Weise, insbesondere was ihre eigene Schwangerschaft betraf. Und so berichtete mir Rori beispielsweise nun häufig davon, sich von ihrer Mutter kritisiert zu fühlen, die ihr vorwarf, sie passe nicht genügend auf sich auf in ihrem jetzigen schwangeren Zustand. Rori erlebte dies als intrusiv und es kam ihr beinahe so vor, als wäre sie kein Mensch mehr, sondern lediglich ein zweckdienliches ‘Gefäß’ oder ein Gegenstand im Dienste einer guten Sache. Als wir dem weiter nachgingen, wurde Rori nun auch der Neid ihrer Mutter bewusst. Was parallel dazu zum Vorschein kam, waren Roris Schuldgefühle in Bezug auf die nicht betrauerte Verlusterfahrung der Eltern, noch ein zweites Kind zu bekommen, das sie sich damals so sehr, aber letztlich vergeblich gewünscht hatten. Als es uns schließlich im analyischen Prozess möglich wurde, Zugang zu den komplexen unbewussten Assoziationen und Narrativen zu erlangen, konnte Rori immer mehr auch Gefühlen von Zuversicht und Hoffnung in sich Raum geben. Obschon ihre Ängste nicht völlig verschwanden, so fühlte sie sich dennoch erheblich erleichtert, vor allem dadurch, dass sie nun ein Verständnis darüber hatte, was sie alles in ihrem Körper und ihrer Psyche mit sich herumzutragen hatte.
Sam
Sam ist 35 Jahre alt und definiert sich selbst als Transgender-Mann, der nun, nachdem er bereits drei Jahre lang mit einem Cis-Mann in einer Partnerschaft zusammengelebt hatte, den dringlichen Wunsch verspürte, eine ‘Familie zu gründen’. Die beiden hatten diverse Optionen in Erwägung gezogen, unter anderem auch fortschrittliche Fortpflanzungstechnologien, Adoption oder Leihmutterschaft. In den Therapiesitzungen sprachen wir aber auch eingehend über die Bedeutung, ein leibliches Kind zu haben. Zum einen sagte mir Sam, dass er zwar durchaus eine emotionale Verbundenheit seiner eigenen Genetik gegenüber in sich wahrnehmen könne, dass er aber andererseits eben dieser seiner ‘Genentik’ entkommen wolle, denn als Sam noch ein Kind war hatte seine Mutter die Diagnose einer bipolaren Störung erhalten. Er konnte sich noch daran erinnern, wie beeinträchtigend und lähmend die wiederkehrenden depressiven Episoden seiner Mutter sich auf ihn ausgewirkt hatten, nur um dann immer wieder von Phasen mit manischen Symptomen abgelöst zu werden. Sams Vater, der sich vollkommen damit überfordert fühlte, für seine psychisch kranke Frau zu sorgen, war infolgedessen in seinen Möglichkeiten, Sam ein fürsorglicher Vater zu sein, in hohem Maße beeinträchtigt und eingeschränkt gewesen. Sam konnte sich noch gut daran erinnern, wie sehr er sich bisweilen nach der Aufmerksamkeit seines Vaters gesehnt hatte. Sam sprach häufig von seinem tiefen und unbefriedigten Bedürfnis nach Nähe und emotionaler Verbindung mit seinem Vater. Im selben Zeitraum, in dem wir in der Analyse eingehend über seine unbefriedigten Bedürfnisse sprachen, unterzog sich Sam dann auch einer geschlechtsumwandelnden medizinischen Behandlung, wobei ihm zunächst eine Reihe von Testosteroninjektionen verabreicht wurden. Während Sam sich in seinem sich verändernden Körper einerseits zwar immer wohler fühlte, nahm er dennoch andererseits auch widerstreitende Gefühle in sich wahr, und zwar angesichts der durch die Testosteroninjektionen bewirkten körperlichen Veränderungen, durch die er früher oder später die weibliche Fertilität irreversibel einbüßen würde.
Die emotionale Verbundenheit zu seinen eigenen Genen, die er neben allen anderen Empfindungen auch in sich wahrnahm, erwiesen sich als zentrales Moment in seinem immer stärker zutage tretenden Ambivalenzkonflikt. Nach reiflicher Überlegung kamen Sam und sein Partner schließlich darin überein, sich für eine In-vitro-Fertilisation (IVF) zu entscheiden. Und folglich reduzierte Sam seine Testosteroninjektionen und entschied sich schließlich stattdessen für einen Stimulationszyklus zur körpereigenen Hormonproduktion durch eine Abfolge von mehreren Hormonspritzen. Sam hoffte, dass sein Körper durch die Hormonbehandlung Eizellen produzieren würde, aus denen dann in vitro durch künstliche Besamung Embryos gezüchtet werden könnten. Doch die Hormonbehandlung verursachte körperliche Veränderungen, die bei Sam heftige und unerwartete Reaktionen hervorriefen. Im Zuge dieser physischen Veränderungen erlebte Sam nämlich den Verlust seines ‘männlichen Selbst’. Aber gleichzeitig berichtete er mir auch ausführlich davon, wie es sich für ihn anfühlte mit einem längst überwunden geglaubten und ihm ‘abhandengekommenen’ Persönlichkeitsanteil seiner selbst wieder in spürbaren Kontakt zu kommen. Die körperlichen Veränderungen aktivierten in ihm eine Bandbreite von Emotionen, die für Sam ganz unterschiedliche Bedeutungsaspekte beinhalteten. So konnte er jetzt beispielsweise in seiner Vorstellung so etwas wie eine binäre Aufteilung zwischen ‘Weiblichkeit’ und ‘Männlichkeit’ entdecken. Sam erzählte mir, dass er sich aufgrund der IVF Behandlung jetzt zumeist nah am Wasser gebaut, anders ausgedrückt, sehr weinerlich fühle, was er selbst auf die hormonellen Veränderungen in seinem Körper zurückführte. Eine tiefergehende Erkundung seiner, wie er es nannte, Weinerlichkeit offenbarte dann allerdings sowohl Verlustgefühle als auch die Identifikation mit seiner Mutter, die Sam während ihrer depressiven Phasen häufig weinen gesehen hatte. Aber auch der zeitweise Verlust seines ‘männlichen Selbst’, wie Sam es bezeichnete, reaktivierte und intensivierte die verloren geglaubte Verbindung zu seinem Vater. Er malte sich aus, wie es wohl für ihn sein würde, die Elternrolle zu übernehmen, was dann wiederum sogleich Befürchtungen in ihm wachrief, dieser Aufgabe womöglich nicht gewachsen zu sein und das Kind unwillentlich auf die ein oder andere Weise im Stich zu lassen. Doch gleichzeitig spürte er auch einen wachsenden Optimismus und Gefühle von Hoffnung in sich aufsteigen, und zwar angesichts der Zukunftsaussicht, möglicherweise bald Teil einer kohärenten und funktionierenden Familie zu sein. Und schließlich erkannte er darin sowohl die imaginierte als auch reale Möglichkeit, die ihm aufgrund der enorm schwierigen Familienverhältnisse in seiner Kindheit zugefügten seelischen Verletzungen zu heilen. Und so diente Sams sich verändernder Körper einerseits als Quelle zur Bewältigung von Verlust und andererseits als Quelle zur Restitution einer inneren Verbindung mit beiden Eltern.
Cora
Im Fall von Cora handelt es sich um eine Cis-Frau in ihren Dreißigern. Sie ist alleinstehend und sehnt sich schon seit längerer Zeit nach einem eigenen Kind. Der hauptsächliche Grund, weswegen sie unbedingt eine Therapie machen wollte, waren ihre unterschwelligen und latent stets vorhandenen chronischen Ängste, die bisweilen in regelrechten panikartigen Zuständen kulminierten, in denen sie dann nach eigenen Angaben nicht mehr ein noch aus wusste und nur noch auf Erleichterung aus war. Im ersten Jahr ihrer therapeutischen Behandlung kam Cora dann irgendwann der Gedanke, dass ihre panische Angst mit dem unaufhaltbaren Verrinnen der Zeit in einem ursächlichen Zusammenhang stehen könnte, d.h. derjenigen Zeit, in der sie ihrer Vorstellung nach eigentlich ein leibliches Kind austragen sollte. Cora gestand, sie habe seit jeher das Bedürfnis in sich gespürt, Mutter zu sein. Allerdings würde sie sich außerstande fühlen, diesen Weg alleine zu gehen, d.h. ohne einen Partner an ihrer Seite. Nachdem Cora dies so klar für sich erkannt und in Worten zum Ausdruck gebracht hatte, fühlte sie sich nunmehr umso mehr unter Druck, in dieser Richtung etwas zu unternehmen, weswegen sie schließlich die Entscheidung traf, bei einem Freund, mit dem sie eine rein platonische Freundschaft pflegte, seine Einwilligung einzuholen, als Samenspender für eine In-vitro-Fertilisation (IVF) zu fungieren, und später mit ihr gemeinsam die Elternschaft für ihr künftiges Kind zu übernehmen. Anfänglich war Cora überaus optimistisch und als sich die erste Runde der IVF-Behandlung als erfolgreich herausstellte, waren ihre Panikzustände vorübergehend verschwunden. Im Laufe des zweiten Monats ihrer Schwangerschaft ließen dann auch die Schwangerschaftssymptome nach, von denen sie eingangs berichtet hatte, bis sie eines Tages vollkommen verzweifelt und außer sich vor Sorge zu ihrer Sitzung kam. Sie war überzeugt davon, dass sie eine Fehlgeburt erlitten hatte. Die anschließende Ultraschalluntersuchung bestätigte Coras Befürchtung, woraufhin Cora in eine tiefe Krise und einen Zustand von Hoffnungslosigkeit verfiel. In der Absicht sich über einen bestimmten Zeitraum hinweg vor einer erneuten natürlichen körperlichen Abstoßung des Embryos zu schützen, d.h., eine weitere Fehlgeburt zu verhindern, beschloss Cora sich einem spezifischen medizinischen Eingriff zu unterziehen. Obwohl es sich dabei um einen optionalen Eingriff handelte, zu dem sie sich aus freien Stücken entschieden hatte, um sich den mit einer ‘natürlichen Fehlgeburt’ einhergehenden psychischen Schmerz künftig zu ersparen, fühlte sie sich deswegen dennoch zutiefst beschämt.
Nun gab es zwar reale Urteile vonseiten der anderen, aber es gab vor allem auch solche, die nur in ihrer eigenen Wahrnehmung bzw. Vorstellung existierten. Als einer ihrer Ärzte sie dann darüber informierte, dass er bei dem Foetus nur einen schwachen Herzschlag registrieren könne, weswegen er ihr von der Fortsetzung der Behandlung abrate, erlebte sie dies als eine regelrechte Verurteilung. Sich vor die Tatsache gestellt zu sehen, dass eine Schwangerschaft für sie nun nicht mehr in Frage kam und also nicht länger eine gangbare Alternative darstellte, wurde von Cora als eine traumatische Erfahrung erlebt, an die eine Vielzahl von subjektiven Bedeutungen geknüpft war. Ihre Identität als Frau stand auf dem Spiel, insbesondere diejenige Identität einer Frau, die den Wunsch hatte, Mutter zu sein. Die Fehlgeburt sowie die Erfahrung, eine Ausschabung der Gebärmutter (D&C) an sich durchführen zu lassen, riefen tief in ihr verborgene Unsicherheiten und Gefühle von Unzulänglichkeit und Wertlosigkeit wach. Ganz ähnlich wie Rori, so hatte auch Cora genderspezifische Erwartungen vonseiten der Gesellschaft internalisiert, die ihren Wert als Frau, wie sie es schließlich selbst formulierte, nach der Funktionstüchtigkeit ihrer ‘Gebärmutter’ bemaß. Als sie dann auf dem OP-Tisch lag, hatte sie das unabweisliche Gefühl, dass etwas Lebenswichtiges aus ihr ‘herausgeschnitten’ wurde und sie dadurch nun einen unwiderbringlichen Verlust erlitten hatte. Cora schilderte auf ergreifende Weise, dass sie denjenigen Persönlichkeitsanteil in ihr, der sich jetzt als minderwertig und defizient erlebte, einfach nicht ignorieren könne, obschon sie doch ansonsten an und für sich einen ‘feministischen’ Standpunkt vertrete. Sie erzählte mir von den Begegnungen mit ihren Freundinnen, die selbst leibliche Kinder hatten, und beschrieb eindrücklich mit was für einem Gefühl der Minderwertigkeit sie danach jeweils zurückblieb. Sie vermeinte einen herablassenden Unterton in der Stimme ihrer Freundinnen zu entdecken, wenn sie gelegentlich so kühn war, sich an den Gesprächen über Kindererziehung zu beteiligen. Die Dimension der besonderen Erlebensqualität, die ihr innerhalb der wenigen Monate, als sie tatsächlich schwanger gewesen war, zu erfahren vergönnt war, hatte ihr, wie sie mir sagte, zumindest eine Ahnung davon gegeben, was sie in ihrem Leben niemals würde realisieren können, was für sie aber eine unsagbar tiefgreifende Erfahrung gewesen war, auf die sie für nichts in der Welt verzichten wollte, auch wenn ihr dies nur umso mehr zu Bewusstsein gebracht habe, dass sie fortan mit einer Leerstelle bzw. einem ‘Mangel’ in sich leben müsse. Fehlgeburt und D&C hatten in ihr ‘ein noch weitaus stärkeres Gefühl von Minderwertigkeit hinterlassen’, wie sie es formulierte. Und so hatten diese besonderen Erfahrungen im Zusammenwirken mit den genderspezifischen Erwartungen vonseiten der Gesellschaft intensive Gefühle von Wertlosigkeit in ihr hervorgerufen. Dieses von ihr tief empfundene Gefühl der Wertlosigkeit stand in deutlichem Gegensatz zu ihrem ansonsten durchaus erfolgreichen und erfüllten Leben: sie pflegte enge Freundschaften und intime Beziehungen, hatte viele unterschiedliche Interessen und Begabungen, und sie verfügte auch über eine gute Bildung und war sehr erfolgreich in ihrem Beruf.
Im Laufe der folgenden Monate ließen die akut spürbaren Nachwirkungen der physischen traumatischen Erfahrung allmählich nach, sodass es Cora möglich wurde, andere Optionen zur Erfüllung ihres Kinderwunsches ins Auge zu fassen, wie etwa die Möglichkeit einer Adoption. Unterdessen versuchte ich Cora jetzt im Rahmen unserer gemeinsamen analytischen Arbeit darin zu unterstützen, ihren Verlust zu betrauern und gleichzeitig auch eine neue Grundlage für ihr eigenes Selbstwertgefühl in sich zu etablieren, das sich nicht von ‘ihrer Gebärmutter’ oder ihrer Mutterschaft her definiert.
In einer jeden der oben von mir geschilderten Vignetten habe ich in meiner Darstellung den Versuch unternommen, der Komplexität der Gefühle gerecht zu werden, die mit der körperlichen Erfahrung von Schwanger- und Mutterschaft an die Oberfläche drängten und zunehnehmend ins Bewusstsein traten. Aber nicht nur wenn Patienten schwanger wurden, sondern auch, wenn sie sich einer Behandlung mithilfe von assistierten Reproduktionstechniken unterzogen, oder aber eine Fehlgeburt erlitten, konnte ich die Beobachtung machen, dass diese Erfahrungen eine Vielzahl von komplexen Gefühlen in den jeweiligen Patienten wachrief. Und so hat mir meine analytische Arbeit mit Rori, Sam und Cora deutlich gemacht, dass oftmals erst die viszeralen Erfahrungen bislang unerkannte und tiefsitzende Überzeugungen und Narrative zum Vorschein brachten, zu denen zuvor weder durch Deutungen noch die Untersuchung psychischer Konflikte ein Zugang geschaffen werden konnte. Sie manifestierten sich also erst über das In-Kontakt-Kommen mit der Dimension der viszeralen, leiblich-sinnlichen Erfahrung. Durch das aufmerksame Registrieren von Körpererfahrungen während der psychoanalytischen Arbeit, gelang es uns, zu einem größeren Gewahrsein jener bislang ungekannten, tiefverwurzelten Überzeugungen, Familiengeschichten und Identifikationen zu gelangen.
Literatur
Bromberg, P. (1998). Standing in the Spaces: Essays on Clinical Process Trauma and Dissociation. New York: Psychology Press.
Chodorow, N. (2003). Too Late: Ambivalence about Motherhood, Choice and Time. Journal of the American Psychoanalytic Association, 51: 1191-1198.
Stern, D. (1987). Unformulated Experience and Transference. Contemporary Psychoanalysis, 23: 484-490.
Aus dem Englischen übersetzt von M.A. Luitgard Feiks und Jürgen Muck.